Ein Gesangsverein mit stolzem Alter

Kein Mensch wird so alt, eine Firma, ein Verein unter Umständen schon: 125 Jahre. Dieses Alter hat der Männergesangsverein Germania 1898 Lorsch e.V. jetzt erreicht. Vor kurzem konnte der Verein bei einem vielapplaudierten Konzert sein Jubiläum feiern, doch der eigentliche Geburtstag ist der 21. August.

An jenem Tag, ein Sonntag vor 125 Jahren, versammelten sich acht Gründungsväter im Gasthaus ‚Zum Goldenen Stern‘ (heute: Paulusheim) mit der Absicht, einen weiteren Gesangsverein in Lorsch zu gründen. Einvernehmlich erlebte die ‚Germania‘ ihre Geburtsstunde. Bereits sechs Tage später ging es zur Sache, die Statuten wurden festgeschrieben und Jakob Albert zum allerersten Vorsitzenden gewählt. Weitere drei Tage danach, am 1. September zählte man 45 singfreudige Herren, die alsbald von Bäcker Wilhelm Ludwig im Chorgesang geübt wurden. Fleißig sammelte man für eine Vereinsfahne. 900 Mark kamen zusammen und die Weihe fand schließlich bei eine grooßen Fest vom 17. bis 19. Juni 1900 statt.

Der erste Dirigent Ludwig soll jedoch den Lockungen des ‚Konkurrenz‘-Vereins Liederkranz nicht widerstanden haben und so gab er sein Dirigat bereits nach einem Jahr wieder auf. So sind hinsichtlich der musikalischen Leitung die ersten Vereinsjahre durchaus turbulent zu nennen, bis 1923 mit Lehrer Nau das Vereinsschiff in ruhigeres Fahrwasser geriet. Das hatte auch mit dem gleichzeitigen, von Nau geforderten Beitritt zum Deutschen Sängerbund und den damit verbundenen Wettbewerbssingen zu tun. Seitdem nahm man jährlich daran teil. Naus Nachfolger bis in unsere Zeit konnten ihr Amt meist über lange Perioden ausüben. Bis heute sind es 13 Dirigenten, unter ihnen auch eine Musikerin, Hedwig Appold-Kohl von 1984 bis 2004, die bei der Germania den Takt vorgaben.

Die vielen Jahre des Bestehens wären kaum zustande kommen, wäre der Verein nicht in der Lage gewesen mit schweren Krisen umzugehen. Germanias Antwort auf Herausforderungen war, so scheint es: Jetzt erst recht! Konnte man aufgrund der Hyperinflation 1923 die angedachte Jubiläumsfeier nicht abhalten, wurde sie, nachdem sich die Währung wieder stabilisiert hatte, kurzerhand ins nächste Jahr verlegt. Ähnliches trug sich 1948, dem Jahr der Währungsreform zu. Die Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubiläum fanden erst 1949 statt. Damals hat sich Germania Lorsch in besonderem Maße um die Geschicke seines Heimatortes verdient gemacht. Das Festprogramm war nämlich in eine örtliche Gewerbeschau eingebunden, die demonstrieren sollte, dass Lorschs Betriebe und Vereinskultur wieder im Aufwind waren.

 

50-jähriges Jubliäum, Festumzug 1949

Die stets und ständige Herausforderung eines jeglichen Gesangsvereins ist es, die Anzahl der Sänger und die Qualität des Gesangs hoch zu halten. Der Schlüssel zum Erfolg waren bei Germania die Beteiligung an Chorwettbewerben, die mit großem Ernst betrieben wurde. Besonders unter der Leitung von Domkapellmeister Gregor Lehr von 1958 bis 1984 war der Chor überaus erfolgreich, was zahlreiche beste Bewertungen und allein 19 Dirigentenpreise belegen Bei dem Jubiläumsfest 1973 – erstmalig ohne den früher üblichen Festzug durch die Stadt – gruppierten sich mehr als 60 Sänger zum Foto auf der Treppe des Lorscher ‚Kapellchens‘, ein Hinweis auf die Beliebtheit des Chores. Dies kam auch zustande, weil man 1959 unter dem Vereinsdach eine weitere Chorformation zuließ: ‚Fidelios‘. Gegründet als Jungmänner-Chor und insbesondere der Bühnenunterhaltung zugetan, gaben sie erst 1994 ihr letztes Konzert. Weitere Meilensteine der Vereinsgeschichte in den Fünfzigern und Sechzigern waren Auftritte des Germania-Chors im Radio beim Hessischen Rundfunk und der Fidelios 1964 im Fernsehen beim ‚Blauen Bock‘. Dort habe man den Sängern „einen makelosen Klangkörper bescheinigt“.

Zwar sind Musik und Gesang elementare Bausteine eines Gesangsvereins, jedoch ohne ein geselliges Miteinander unter Einbeziehung der Familien, Freunde und aller die Unterhaltung suchen, mithin ohne Veranstaltung ist ein Vereinsleben nicht vorstellbar. Von Anbeginn wurden Familienabende, anfänglich im Februar, später im Herbst, organisiert. Daneben gab und gibt es: Konzerte, Silvester-, Masken- und Herbstbälle, Liederabende, Pfingstwaldfeste, Ausflüge und Theateraufführungen. Ein Höhepunkt war und ist nach wie vor das Konzert am Heiligen Abend, welches als Veranstaltung in einer über 60-zigjährigen Tradition steht.

Alle Veranstaltungen wurden und werden von den Vereinsmitgliedern und den gewählten Vorständler/-innen geplant, organisiert und betreut. Sicherlich war es manchmal für alle Helfenden zeit- und nervlich belastend, der Gesamterfolg belegt, dass es der Mühe wert war. Von einer Kassenunstimmigkeit im Jahre 1925 abgesehen, war das Wirtschaften des Vereins solide, woran die insgesamt 13 Vorsitzende in 125 Jahren sicherlich einen gewichtigen Anteil haben. Sie führten den Verein über die jahrelangen Pausen der Weltkriege hinweg, umgingen die 1933 verordnete Gleichschaltung und konnten durch entsprechende Impulse den Verein immer wieder neu beleben. Nachdem Germania jahrzehntelange Gaststätten für die Chorproben genutzt hatte – vor dem zweiten Weltkrieg war es das Gasthaus ‚Zum Bahnhof‘, danach die ‚Harmonie‘ der Maibergers – dürfte der Erwerb eines Lagergebäudes und Umbau zum Sängerheims ein ganz großer, aber enorm wichtiger ‚Brocken‘ für den Verein gewesen sein. Am 13. August 1987 wurde das Gebäude in dessen Dienste gestellt.

Die letzte Krise, die der MGV Germania zu bewältigen hatte, war die Zeit während der Corona-Epidemie. Auch diesmal gelang es, den Germania Gesamtchor und den 2010 gegründeten ‚Taktfest‘-Chor über die Untiefen der behördlichen Auflagen zu lotsen. Und zwar in einer Weise, dass der Vorsitzende Klemens Diehl-Blust in seinem Jubiläumsgrußwort zusammenfassen konnte: „Germania Lorsch ist ein lebendiger Verein.“

75-jähriges Jubiläum 1973