Unglaublich dunkle Stunden sind dies für die Germania Lorsch, denn innerhalb von fünf Tagen hat der Sensenmann drei unserer verdienstvollsten aktiven Sänger aus dem Leben geholt: Heinrich Hartmann, Karl-Heinz Boll und Klaus Schneller. Alle drei waren die zuverlässigsten Stimmen des Chors. Noch im letzten Juli standen sie beim Jubiläumkonzert mit dem Germania-Chor auf der Bühne. Mit dem traurigen Abschied wird auch deutlich, was ein Generationenchor meint: Er begleitet die Sänger ihr ganzes Leben.
Mit siebzehn, 1955, trat Heinrich ‚Heiner‘ Hartmann der Germania bei. Heiner war Sänger im ersten Tenor, eine begehrte Stimmlage in jedem Männerchor, da nur wenige die höchsten Töne ertönen lassen können. Mit einer derartigen Stimmvoraussetzung ist es für jemanden, der Freude am Singen hat, kein Problem sich in jede Chorformation einzubringen. Heiner hat dies genutzt. Er sang im Germania-Chor, bei den Fidelios, die von 1959 bis 1994 für musikalische Unterhaltung sorgten, auch im ‚Rollators‘-Chor, der von 2011 bis 2020 aktiv war. Heinrich war ein ruhiger, bescheiden auftretender Mitsänger. Er erschien regelmäßig zu den Singstunden, nahm seinen Platz ein, und nach wenigen Gesprächen war er auch meist gegangen. Zuverlässig war er, der im Arbeitsleben das Verlegen von Estrichen zu seinem Beruf gemacht hatte, standhaft und mutig. Wenn wieder einmal seine Erster-Tenor-Kollegen aus dem einen oder anderen Grund unpässlich waren, vertrat er bei den Chorproben seine Stimmlage eben allein. Die Tatsache, dass er trotz Atembeschränkungen wann immer möglich zur Singstunde erschien, belegt sein Pflichtgefühl und seine Leidenschaft für den Chorgesang.
Nicht anders war es bei Karl-Heinz Boll. Auch er – bereits von seiner Krankheit gezeichnet und seine Bass-Stimme fast ohne Kraft – wollte bei Proben und bei Auftritten stets dabei sein. Mit 21 Jahren, 1966, wurde Karl-Heinz Mitglied des Germania-Chores. Ihm war das Singen wichtig, aber ein ganz besonderes Anliegen war ihm der Verein. So kam es, dass er bereits drei Jahre nach Eintritt zum Kassierer gewählt wurde. Ab 1975 wurde er Jugendbetreuer, 8 Jahre später Schriftführer und 1990 schließlich erster Vorsitzender. Die Hundertjahrfeier fiel in seine Zeit als Vorsitzender, eine Feierlichkeit, die sich damals über drei Tage erstreckte. Erst nach 18 Jahren übergab er den Vorsitz, um gleich als Ehrenvorsitzender seinem Verein weiter zu dienen. Er sorgte sich, dass u. a. alles am rechten Platz war, die Getränkebestände aufgefüllt, den Jubilaren die Glückwünsche überbracht und die Ehrenurkunden rechtzeitig bei den Generalversammlungen bereit lagen. Und mit Roswitha Metz, mit der sich der ‚überzeugte‘ Junggeselle irgendwann zusammentat, bildete er das Rückgrat und die Seele der Germania. Karl-Heinz stand gerne als Schauspieler auf der Bühne. Die zahlreichen Veranstaltungen in der damaligen Zeit boten hierfür einige Gelegenheiten. Als Märchenprinz, Kranker, Bürgermeister oder auch im Männerballett sorgte er für reichlich Lacher. Fast selbstverständlich ist es zu erwähnen, dass Karl-Heinz Boll als erster Bass in allen Chorformation – Germania, Fidelios, Rollators – sang. Ach übrigens in der Schola St. Nazarius war er auch Sänger.
Germania-Chor, Fidelios, Rollators: Das waren die Chöre von Klaus Schneller, Jahrgang 1940. Im Jahre 1962 trat er in die in die Germania ein. Seine Stimmlage war zweiter Tenor und auch er in allen Chören mit dabei. Ein Foto aus den 70-zigern zeigt ihn kostümiert als feschen ‚Holzhackerbuam‘. Klaus Schneller war vor allem eines: Sänger. „Ich singe aus Spaß an der Freud, so Klaus in seinem Sängergruß zum 125-zigsten Jubiläum. Ein wenig rebellisch äußerte er sich weiter: „In meiner Familie war ich der erste, der nicht beim Liederkranz gesungen hat.“ Eine noch größere Bedeutung, so schien es, hatte sein Beruf, denn er war Maurer. Sollte irgendjemand dies als unangemessen gesehen haben, begann er eine leidenschaftliche Diskussion, bis die Verhältnisse zurechtgerückt waren. Stolz war er aber auch auf die Germania. Dies zeigte sich 2022 als er für ‘60 Jahre aktiver Sänger‘ geehrt wurde. Den Glückwünschen folgte er mit einer kleinen Dankesrede. Sein Tod kam plötzlich und unerwartet. Zu lebendig schien der 84-jährige und bei den Vorbereitungen auf das Jahreskonzert 2023 war er immer dabei. Nun ist auch Klaus Schneller verstummt.
Die unglaublich vielen gemeinsamen Ereignisse mit den Verstorbenen in all den Jahrzehnten würden ein ganzes Buch füllen. Germania Lorsch ist betroffen und trauert um die verdienstvollen Sangesbrüder Alle drei waren sie Handwerker. Heinrich Hartmann hatte Schreiner gelernt, Karl-Heinz Boll arbeitete als Schreiner und Klaus Schneller eben als Maurer. Sie haben sich nun auf den Weg der ewigen Walz gemacht. Der Germania-Chor wird sie in Erinnerung stets mit seinen Liedern begleiten.