Germania singt unter Bäumen

In den noch immer heißen Abendstunden des 9. August wurde Lorschern, die sich nicht Kühle suchend unter ihr eigenes Dach zurückgezogen hatten, ein seltsames Schauspiel zu teil. Eine kleine Gesellschaft zog durch die Straßen. An Bäumen machten sie halt, es wurde eine Ansprache gehalten, dann setzten sich die Männer von den Frauen ab, formierten sich und begannen zu singen.

Es war dies der Chor des Männergesangvereins Germania Lorsch, der die Sommerpause des Probenbetriebs für angenehme Stunden nutzte. Klemens Diehl-Blust, Vorsitzender des Vereins, gab hierzu die Ideenvorlage, als er zu einem Spaziergang mit Gesang unter den Stadtbäumen Lorschs einlud. Eigentlich hätte man es auch als Gesang ‚zu‘ den Bäumen bezeichnen können, denn den ‚alten‘ Germanen waren Bäume heilig und verehrungswürdig. Aloys Leidner hatte für die Baumstrecke die passende Liedauswahl und den Dirigentenstab übernommen, Karlheinz Mulzer sorgte mit Wort- und Gedichtbeiträgen für eine stimmungsvolle Untermalung.

Treffpunkt waren die Linden am Lorscher Bahnhof. Die Linde, ein ganz besonderer Baum, mit herzförmigen Blättern, stark fruchtend. Sie war den Germanen heilig, der Liebesgöttin Freya gewidmet. Diese Verehrung trägt sich fort bis in unsere Tage, zahlreiche Gerichts-, Dorf- und Tanzlinden zeugen von der Bedeutung des Baums. Linde und zusätzlich Brunnen sind Fruchtbarkeitssymbole. Ganz klar, dass der Germania-Chor, das bekannteste Lindenlind anstimmte: ‚…Am Brunnen vor dem Tore…‘ = ‚Der Lindenbaum‘.

An der Arzneimittelpflanze des Jahres 2018, der Rosskastanie, am zukünftigen Katharina-Hartnagel-Platz ergab sich die nächste Möglichkeit für einen gesungenen Aufenthalt. Der beliebte Rosskastanienbaum, beeindruckende Blüten im Mai, Schattenspender in Biergärten, wird leider seit etwa dreißig Jahren von der Miniermotte

geärgert. Die Rosskastanie ist allerdings nicht zu verwechseln mit der essbaren Edelkastanie (Castanea sativa). Aloys Leidner hatte zwei Lieder ausgewählt aus wichtigen Anpflanzungsgebieten der Edelkastanie, der Pfalz und Südtirol,: ‚Pfälzer Woiknorze‘ und ‚Tal in den Bergen‘.

‚Aus der Traube in die Tonne‘: Ein Lied, das von Männergesangvereinen geliebt wird, und zum deutschesten aller Bäume, der Eiche, passt. Eine Stieleiche findet sich in Lorsch vor dem Stadthaus am Kriegerdenkmal, inzwischen ein Naturdenkmal, ebenso wie die gegenüberliegende Eiche, an der 1841 der letzte erjagte Wolf Lorschs zur Schau gestellt wurde, der Wolfseiche. Bei den Germanen war die Eiche dem Donnergott Donar geweiht. Bonifatius hat sie in einer spektakulären Fällaktion etwas entzaubert. Noch immer symbolisiert sie das deutsche Nationalverständnis, ein Blick auf die Rückseite der 1- oder 2-Cent-Münze genügt.

Das letzte Naturdenkmal Lorschs findet sich auf dem Klostergelände, die beeindruckende ahornblättrige Platane. Die Platane, ein Baum mit einer enormen Wuchskraft, ist ein vergleichsweise ‚junger‘ Baum. Seit Mitte des 18. Jh. wird sie in Europa angepflanzt und prägt inzwischen viele Ortsbilder, besonders in Frankreich. Es lag nahe den abendlichen Baum-Spaziergang auf der Klosterwiese mit einem himmelwärts gerichteten Lied abzuschließen: ‚Kumbaya my lord’.

Hans Geridant, ehemals stellvertretender Vorsitzenden der Germania, zeigte sich beim Ausklang im ‚Cafe am Kloster‘ begeistert. ‚Es hat 124 Jahre Vereinsgeschichte benötigt, bis es zu einer derart gelungen Veranstaltung kam, hervorragend!‘ so sein Resumee.

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